Was wir vom Silicon Valley lernen müssen, um in die Wissensgesellschaft zu kommen.
Ein Rückblick von Jan Ehlert, NDR
„Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie ‚ich‘ sagen“, schrieb Theodor Adorno uns Deutschen ins Stammbuch. Genau darin aber liegt der große Nachteil auf dem Weg in die globale Wissensgesellschaft: Das Silicon Valley sei voll mit Menschen, die ‚Ich‘ sagen, die selbst neue Ideen verwirklichen, eigene Ideen erreichen wollen, so Wolf Lotter. Das sei wichtig, denn: „Ohne ‚Selbst‘ gibt es kein Selbstbewusstsein“.
Was dieser Glauben an sich selbst bewirken kann, das zeigte zum Beispiel das Apollo-Programm von John F. Kennedy. Nach seiner Wahl zum US-Präsidenten 1961 gab er ein ehrgeiziges Ziel vor: Bis Ende des Jahrzehnts würde die Menschheit zum Mond fliegen können. Was 1961 noch undenkbar erschien, sollte tatsächlich acht Jahre später Wirklichkeit werden.
Warum nicht zu den Sternen greifen?
Das Silicon Valley ist voll von solchen Visionen: Liest man Interviews mit den führenden Köpfen der großen Unternehmen, so fällt dort auffällig häufig der Satz: „Ich will die Welt verändern“ – also wagt man sich an Projekte wie selbstfahrende Autos, ein Heilmittel gegen Krebs, eine Software, die Fremdsprachen fehlerfrei übersetzen kann. Und erst vor kurzem stellten der Physiker Stephen Hawking und Facebook-Gründer Marc Zuckerberg ein Nano-Raumschiff vor, das in bislang unerreichbar geglaubte Sternensysteme vordringen soll.
Solche Visionen, solche Ziele sucht man in Deutschland vergeblich. Und falls es sie doch gibt, werden sie als „Spinnerei“ belächelt. Stattdessen scheint die Devise zu lauten: Bloß keine Veränderungen, alles soll so bleiben, wie es ist. Natürlich gibt es auch bei uns Spitzenforschung, in der öffentlichen Wahrnehmung spielt sie jedoch kaum eine Rolle. Die Stimmen, die regelmäßig vor den Gefahren neuer Techniken warnen, sind lauter.
Endlich Ich?
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, die Industrie wächst. Warum also sollte man etwas verändern? Doch „nichts ist so gefährlich wie der Erfolg von gestern“, warnte schon vor Jahren der Innovationsforscher Erich Staudt. Die Welt wird sich verändern, sie hat es immer getan. In 20 Jahren wird etwa jeder zweite Arbeitsplatz in der Industrie der Digitalisierung zum Opfer gefallen sein, prognostizieren die Forscher Michael Osborne und Carl Frey von der Universität Oxford. Roboter und Maschinen könnten vieles schneller, besser, effizienter.
Die neue Arbeit wird daher auf Wissen setzen, auf individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten. Auch dafür braucht es mehr „Ich“, mehr Selbstverwirklichung. „Es geht nicht um die Frage, was ist das Internet. Es geht um die Frage, was wir damit machen“, fordert Wolf Lotter. Dafür braucht es Menschen mit Visionen, die Fragen stellen, statt anderen die Verantwortung für ihr Leben zu überlassen. „Wir müssen Mut und Risiko wieder schätzen lernen“, fordert Wolf Lotter daher. Also: das Leben selbst in die Hand nehmen, eigene Ziele und Träume definieren und versuchen, sie zu erreichen. Natürlich kann das auch bedeuten, dass man scheitert. Aber nur wer wagt, gewinnt – diese alte Weisheit gilt auch heute – und ganz besonders auf dem Weg in die Wissensgesellschaft.
Lab Lecture #1
12.04.2016
Bucerius Law School
Jungiusstraße 6
20355 Hamburg
Wolf Lotter ist Journalist und Mitbegründer von brand eins. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wie die Transformation von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft gelingen kann. Zuletzt ist von ihm das Buch Zivilkapitalismus. Wir können auch anders erschienen.
Der ganze Vortrag im Video
Die Diskussion mit Jan Ehlert (NDR) im Video
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