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Was die Wissensgesellschaft aus der Krise lernen kann

Ein Gastbeitrag von Wolf Lotter

Von Karl Kraus stammt eine Erkenntnis, die in jeder Krise wichtig ist: „Hüten wir uns davor, aus Schaden dumm zu bleiben.“ Was aber ist die Lektion, die wir heute lernen sollten?

Wir sollten uns zu helfen wissen.

Die Krise hat gezeigt, wie wichtig es ist, Selbständigkeit als Grundprinzip des Arbeitens und Handelns zu verankern. Das geschieht in Deutschland – und anderswo – immer noch nur als Ausnahmefall. Doch im Home-Office, das gute Chancen auf das Wort des Jahres hat, lässt sich die Unselbständigkeit nicht mehr verbergen.

Kriegen wir es von selbst hin, ohne ständiges „Meeting“ und die Beaufsichtigung durch ein Management, Entscheidungen zu treffen, zu handeln, wenn es geboten scheint? Oder ist die Arbeit nach wie vor, wie in der Zeit der Fabrik und des Gutshofs, nur auf Anweisung „von oben“ machbar?

Und haben wir die digitalen Werkzeuge dazu, den Umgang mit Hardware, Software und vor allen Dingen der Kultur der Netzwerke verstanden? Seit fast drei Jahrzehnten reden alle über virtuelle Arbeit, über Digitalisierung, Networks – aber kriegen wir es auch hin, darin so reibungslos zu arbeiten wie im alten Büro? Nein, und deshalb braucht es Bildung für selbstbestimmtes Arbeiten, bei dem die Digitalisierung ortsunabhängig Freiräume schafft.

„Mobiles Arbeiten“ und „Home-Office“ sind Begriffe aus der alten Zeit, mit denen man sich nur von einer nun endgültig überholten Realität abgrenzen wollte. Es gibt kein drinnen und draußen mehr, keine Macht, die von der Präsenzkultur ausgeht. Wir brauchen sie nicht mehr. Der Wissensarbeiter, hat uns Peter Drucker* gelehrt, hat sein Kapital zwischen den Ohren. Wo dieses Kapital ist, ist Arbeit, das selbständig arbeitende Individuum. Netzwerke funktionieren, wo man versteht, was man voneinander braucht – sie sind unabhängig von Orten und Hierarchien. 

Aus Schaden dumm zu bleiben, das hieße auch zu glauben, man könne in seiner Nische überwintern, bis sich die Epidemie wieder verzogen hat. Wer in Netzwerken arbeitet, muss sich verständlich machen, so gut es geht. Der Organisationstheoretiker Gilbert Probst hat festgehalten: „Wissen ist die einzige Ressource, die sich durch Gebrauch vermehrt.“ Was man kann, wirkt nur dann, wenn es andere auch verstehen können, wenn es anschlussfähig ist (was man nicht mit opportunistisch verwechseln darf). In den meisten Organisationen haben sich die Spezialisten eingegraben, sie verteidigen ihre Silos auch in der Zeit der Pandemie. Oben treffen einige ihre einsamen Entscheidungen. In der alten Organisation konnte man sich solche Illusionen erlauben.

Gefragt ist ein Sowohl-als-auch: Die Entwicklung unserer Talente und die Mitwirkung im Ganzen. Eine Gemeinschaft der Vielfalt legt Wert auf Unterschiede, sie will kein gleichgeschaltetes Kollektiv und keine Vereinzelung. Wissen ist wertvoll, wenn es verstanden wird. Wir müssen lernen, den Wald und die Bäume zu sehen. Unsere Zusammenhänge. Den Kontext, in dem wir leben.

Einfach gesagt: Die Krise zwingt uns dazu, uns zu verstehen.

Dazu braucht es kein Pathos, nur nüchternes Nachdenken: Wissen teilen wird in der Post-Corona-Gesellschaft ein großes Ding. Selbstständige können ihre Selbstbestimmung in Genossenschaften und Syndikaten beibehalten, ja sogar stärken. Sie bleiben unternehmerisch und agil, weil sie das, was sie können und ausmacht, mit anderen zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles einsetzen. Genau so funktioniert auch eine offene Gesellschaft, eine Zivilgesellschaft, wenn sie den Namen verdient. Freie Menschen, die sich zusammenfinden, um das Beste aus der jeweiligen Lage zu machen.

Damit das klappt, müssen wir den alten Geist des Kollektivismus, der alles gleichmacht, durch den Geist der Differenz ersetzen. Komplexität erschließen lernen – statt sie zu reduzieren. Oder, wie man früher schon wusste: Jede Gelegenheit ergreifen. Keine Chance ungenutzt lassen. Das ist Vielfalt nutzen. Damit kämen wir aus der Zwickmühle. Und das wäre weit mehr als die Pandemie überwunden zu haben.

Nicht aus Schaden dumm zu werden heißt: Sich selbst ins Spiel bringen.

Die Klügeren fragen: Was kann ich für Sie tun? Der Rest ergibt sich.

* Peter Drucker war ein US-amerikanischer Ökonom österreichischer Herkunft.

Wolf Lotter

Wolf Lotter

ist Essayist, Vortragender, Gründungsmitglied von brand eins und Autor zahlreicher Bücher, z.B. „Die Kreative Revolution. Was kommt nach dem Industriekapitalismus? (2009) „Zivilkapitalismus“ (2013) „Innovation - Streitschrift für barrierefreies Denken“ (2018). Im Herbst erscheint „Zusammenhänge. Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen“ in der Edition Koerber. Der Autor arbeitet bereits an seinem nächsten Buch - zum Thema Leistung und Anstrengung in der Wissensgesellschaft.

Wolf Lotter ist zu Gast bei der Bucerius Lab Digital Lunch Session #3 am 28. April um 12 Uhr. Für weitere Informationen bitte hier klicken.

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