Auf dem Weg zum Global Village 2050
Es ist diese uralte, sich immer wieder neu aufladende Geschichte, dass man nur dort klüger werden kann, wo schon alle sind. Die Zivilisation, wie sie bisher in Erscheinung trat, grenzt sich ab und andere aus.
Wolf Lotter, Publizist
Bereits in den 1960er Jahren prophezeite der Medienphilosoph Marshall McLuhan das Zusammenwachsen der Welt zu einem „globalen Dorf“. Dank Vernetzung stünde bald die ganze Welt in einem stetigen Austausch, so dass zweitrangig würde, wo man konkret lebt – jeder würde Teil einer gobalen Weltgesellschaft.
Die Realität 2020 sieht hingegen anders aus: Weltweit entstehen neue Mauern. Ganze Staaten schotten sich ab, virtuell und physisch. Und auch innerhalb von Ländern polarisieren sich Gesellschaften.
Die Digitalisierung war im Sinne von McLuhan mit dem Versprechen angetreten, Dezentralisierung zu fördern bzw. zu ermöglichen. Doch gerade die Digitalwirtschaft konzentriert sich in urbanen Zentren und zieht dort Kapitel, Wissen ebenso wie Talente an. Großstädte generieren bereits heute 75% des globalen GDPs, ebenso viele Menschen werden weltweit bald in Städten wohnen, die heute meist schon an ihre Grenzen stoßen.
Städte machen gerade einmal 2% der Erdoberfläche aus. Welches Potential liegt in den anderen 98%? Ist die Vision eines globalen Dorfs outdated – oder hilft uns McLuhans Metapher, auch die echte „Countryside“ neu zu erschließen? Welchen Beitrag kann Technologie zu einer dezentralen Weltgesellschaft leisten, und welche Kräfte haben dies bisher verhindert? Wie sollte ein „Global Village 2050“ aussehen – und welche Weichen müssten wir heute dafür stellen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der neue Schwerpunkt des Bucerius Lab.
Intro
Nachgefragt: Was denken unsere ExpertInnen?
„Auf dem Land braucht es andere Coworking Spaces als in der Stadt. Aber es braucht sie, um innovativen Leuten die Möglichkeit zu geben, auf dem Land zu leben und auch, um denen Räume zu bieten, die bereits dort sind. Für das Zusammentreffen dieser beiden Gruppen, also für das Schaffen einer Community, ist es wichtig, Begegnungsorte zu schaffen. Solche hybriden Orte sind gerade spannend, weil da viele Themen zusammentreffen können, die im Augenblick auf dem Land wegbrechen. Für Coworking Spaces generell braucht man aber einen gewissen Mut, weil im Augenblick die kritische Masse der Nutzer noch nicht erreicht ist.“
„Mit Ideen wie Coworking Spaces in Bahnhöfen außerhalb von großen Städten, wollen wir einen positiven Effekt in der Stadt-Land-Thematik leisten. Natürlich sind wir damit nicht das alleinige Mittel gegen Landflucht, aber wir leisten einen Beitrag. In unseren Räumen können Menschen arbeiten und vielleicht bleiben sie dadurch in der Umgebung. Der Bahnhof kann also noch viel mehr Funktionen haben als nur Mobilität. Aber: Jeder Ort ist unterschiedlich. Wir müssen uns fragen: In welchem Zustand ist das Bahnhofsgebäude? Wie viel müsste man dafür investieren? Passt unsere Idee zur Gemeinde? Und lohnt sich das? Denn wenn wir einfach nur Geld zuschießen und ein Projekt künstlich am Leben halten, ist das nicht langfristig. Der Ort hat dann auch nichts davon. Wir müssen also identifizieren, wo unsere neuen Geschäftsmodelle funktionieren und einen positiven Effekt mit sich bringen können. Das wiederum ist nicht so einfach, weil man viel mit Annahmen arbeiten muss. Wir versuchen deshalb, so konservativ wie möglich trotzdem innovativ zu sein.“
„Junge Menschen brauchen vor allem andere Menschen. Sie wollen den Austausch mit Gleichgesinnten, wie sie es aus der Stadt kennen. Also solche Gruppen, die man im Englischen als „Peers“ bezeichnet. Allein das Hinlegen von einem Internetkabel oder zu sagen „hier ist noch Platz“, zieht die Leute nicht an. Als Effekt haben wir in unserer Studie beobachtet, dass Menschen also vor allem dahin gehen, wo sie solche Gleichgesinnten schon finden. Dadurch entstehen tatsächlich jenseits der Speckgürtel aus eigener Kraft sogenannte Speckwürfel. Aber man braucht immer Pioniere. Nur wenn die Pioniere es schaffen, noch mehr Leute aufs Land zu ziehen, dann kann eine Aufwärtsspirale entstehen und eben diese Speckwürfel. Die Pioniere haben es jedoch manchmal ziemlich schwer und wenn es zu schwer ist, dann ziehen sie auch wieder zurück.“
„Auffällig war, dass die Leute oft aneinander vorbeireden und es wenig Verständnis füreinander gibt – zum Beispiel, wenn es um Kultur geht: Städter wollen nur aufs Land gehen, wenn sie dort Gleichgesinnte finden. Ländler hingegen sagen: „Bei uns gibt es doch viel mehr als nur Wanderwege“. Bei dem Ruf nach Coworking Spaces frage ich mich, wie viele Leute auf dem Land das wirklich nutzen können. Ob auf dem Dorf oder in der Stadt – die Mehrheit muss doch immer noch am Arbeitsplatz präsent sein. Der Großteil an Firmen erlaubt seinen Mitarbeitern schlichtweg kein Homeoffice. Und wenn sie es doch nutzen können, landen diese Mitarbeiter schnell auf der Abschiebebank: Untersuchungen zeigen, dass diejenigen, die nicht im Büro sitzen, seltener Karriere machen. Auch ein paar Freelancer werden in den extrem schrumpfenden, armen Regionen das Ruder nicht rumreißen. Ohne Änderungen im Kern des Problems wird sich die Schere zwischen armen und reichen Regionen nur noch weiter aufziehen.“
„Die neue Abhängigkeit vom Auto ist etwas, was mich seit meinem Umzug aufs Land total nervt. Mobilität ist auf dem Dorf ein großes Thema. Ohne Auto kommt man echt nicht zurecht – selbst wenn man es sich sehr wünscht. Was hingegen total gut funktioniert, ist das Halten der Verbindung zum Stadtleben. Also trotzdem weiter in Hamburg zu arbeiten, weiter Kultur zu erleben und auch alte Kontakte zu pflegen. Das ländliche Leben ist für den Menschen an sich, also wie wir von Natur aus sind, sicher gesünder. Ich glaube aber, dass man sich das auch leisten können muss. Und damit meine ich nicht monetär, sondern eher, wie man gestrickt ist und was einem wichtig ist. Per se hat die Stadt auf jeden Fall eine niedrigere „Einstiegshürde“. Gleichzeitig muss man dann an vielen städtischen Punkten halt Abstriche machen.“ Außerdem: „Auf dem Dorf ist unser Begegnungsort alles, was die freiwillige Feuerwehr organisiert. Es ist ganz aktuell so, dass in den meisten Gemeinden die Feuerwehrhäuser neugebaut werden müssen, weil sich Regularien verändert haben. Dabei ist es meistens günstiger neu zu bauen, als das alte Haus zu renovieren. Es stellt sich also die Frage, was die Gemeinde mit dem alten Haus macht. Bei uns gibt es zum Beispiel die Idee daraus eine Dorfstätte zu gestalten.“
„Das Land lädt uns doch alle durch viel Platz, unbegrenzte Möglichkeiten und erschwingliche Grundstückspreise dazu ein, es mit Leben zu füllen. Klar, ich kenn hier und da ein paar Leute, weil ich diesen Ort nie verlassen habe, aber jeder kann das machen, was ich mache. Internet gibt es hier besseres als in der Stadt, die Brötchen sind super und über Social Media kann man der Welt sehr transparent und authentisch zeigen, wie schön es ist und damit leicht Menschen für gute Ideen zusammenbringen. Nichts anderes tut das Kliemannsland. In der Stadt spricht man viel über die Dinge, die man tun möchte. Auf dem Land tut man sie einfach. Wenn diese beiden Welten aufeinandertreffen, entsteht erfahrungsgemäß unheimlich spannendes Zeug. Dazu muss man nicht mal viel planen und zwangsweise Coworking Spaces etablieren. Dörfler teilen gerne, und was es nicht gibt, wird einfach gebaut. Viel Freiheit und geringe Kosten für alle sind genauso wichtig wie ein guter Draht zum Bauamt.“
Vertiefung: Vortrag des Bucerius Lab und Diskussion auf der re:publica 2019
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